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In einem wenig umfangreichen Eilverfahren haben Sehbehinderte keinen Anspruch auf eine Audiodokumentation – ihre Anwälte müssen vorlesen. Das hat das Landessozialgericht (LSG) München entschieden, wie die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) berichtet.

Sehbehinderte Prozessbeteiligte hätten keinen Anspruch gemäß § 191a Absatz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) auf eine barrierefreie Dokumentation des Prozessstoffs in Audioform, wenn der Streitstoff übersichtlich ist und der Anwalt die Unterlagen ebenso gut vorlesen kann. Dies gelte insbesondere in Eilverfahren, in denen der zeitliche Aspekt Eile gebietet, so das LSG.

Eine Ärztin erkrankte während ihrer Promotion an einer Hornhautentzündung. Deswegen muss sie ihre Augen ständig abdecken und beurteilt sich unter Vorlage von Attesten als faktisch blind. Sie klagte zunächst auf Einstufung der Krankheit als Arbeitsunfall; der Prozess läuft noch. Außerdem stellte sie mehrere Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz und leitete ein Verfahren bezüglich der Kosten für eine Assistenz ein, das sich derzeit in der zweiten Instanz befindet. Hierfür verlangte sie, dass ihr alle Verfahrensdokumente aus den vorherigen Eil- und dem aktuellen Klageverfahren als Audioaufzeichnung auf CD zur Verfügung gestellt werden. Damit hatte sie jedoch keinen Erfolg, wie die BRAK meldet.

Das LSG München habe sie darauf verwiesen, dass ihr Anwalt ihr alle Unterlagen vorlesen könne. Dies gehöre zu seiner berufsrechtlichen Verpflichtung. Dementsprechend gelte der Anspruch gemäß § 191a Absatz 1 GVG auf einen barrierefreien Zugang zu Gerichtsdokumenten nicht ausnahmslos. Eine Ausnahme liege etwa vor, wenn – wie hier – die Unterlagen im Rechtsstreit übersichtlich und die Schriftsätze nicht lang seien. Hinzu komme in diesem Fall, dass die meisten Inhalte vornehmlich auf dem eigenen Vortrag der Frau beruhten. Zudem bestehe ein Konflikt zwischen der Eilbedürftigkeit im einstweiligen Rechtsschutz beziehungsweise dem Gebot effektiven Rechtsschutzes und dem Zeitaufwand der Anfertigung von Audio-CDs.

Daran ändere sich auch nichts, weil der Gesetzgeber im Jahr 2014 in § 191a Absatz 1 GVG den Halbsatz „soweit dies zur Wahrnehmung ihrer Rechte im Verfahren erforderlich ist“ gestrichen habe. Daraus lasse sich nicht entnehmen, dass die Erforderlichkeit eines barrierefreien Zugangs nun nicht mehr relevant sei. Jedenfalls werde § 191a GVG durch § 4 Zugänglichmachungsverordnung konkretisiert, wonach der Anspruch auf barrierefreie Dokumente nur bestehe, „soweit der berechtigten Person dadurch der Zugang zu den ihr zugestellten oder formlos mitgeteilten Dokumenten erleichtert und sie in die Lage versetzt wird, eigene Rechte im Verfahren wahrzunehmen.“ Weiterhin müsse also – auch nach der Gesetzesänderung – der erleichterte Zugang zu den Dokumenten kausal für die Wahrnehmung eigener Rechte im Verfahren sein.

Zum Abschluss wies das LSG laut BRAK noch darauf hin, dass ein Anspruch auf eine Audiodokumentation sich außerdem nur auf das aktuelle Verfahren erstrecken würde, nicht jedoch auf vorangegangene Eilverfahren, wo er gesondert geltend gemacht werden müsse.

Bundesrechtsanwaltskammer, PM vom 30.01.2025 zu Landessozialgericht München, Beschluss vom 09.01.2025, L 2 U 313/24 B ER