Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich mit einer Amtshaftungsklage wegen des Vorwurfs der fehlerhaften Handhabung eines Notrufs durch Rettungsleitstellen befasst. Er hat entschieden, dass das Berufungsgericht ein Sachverständigengutachten zu der Frage hätte einholen müssen, ob im konkreten Fall eine Indikation zur sofortigen Entsendung eines Notarztes bestand. Daher hat er das die Klage abweisende Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
Die Kläger sind Eltern und Erben eines 2017 geborenen und rund ein Jahr später verstorbenen Kindes. Sie nehmen die beklagten Landkreise und kreisfreien Städte wegen Amtspflichtverletzungen im Zusammenhang mit einem Rettungsdiensteinsatz auf Schmerzensgeld und Schadensersatz in Anspruch.
Die Eltern wohnen in einer Gemeinde im Kreis Nordwestmecklenburg. Einen Monat vor dem errechneten Geburtstermin des Kindes traten bei der Schwangeren Schmerzen auf. Der werdende Vater rief bei der betreuenden Hebamme an, die ihm sagte, seine Frau müsse sofort ins Krankenhaus. Der Mann verständigte den Rettungsdienst. Dem Disponenten in der Leitstelle Bad Oldesloe teilte der werdende Vater mit, dass seine schwangere Frau laut Hebamme sofort in ein Krankenhaus gebracht werden müsse. Der Disponent leitete den Notruf an die Leitstelle Schwerin weiter. Deren Disponent wiederum leitete den Notruf mit der Erklärung an die Leitstelle Lübeck weiter, es gehe um Schmerzen in der Schwangerschaft. Auf die Einschätzung der Hebamme, die Schwangere müsse sofort in ein Krankenhaus gebracht werden, wies er nicht hin.
Daher erachtete der Disponent der Leitstelle Lübeck die Sache als nicht besonders eilbedürftig und der Rettungswagen rückte erst rund 35 Minuten später und noch dazu ohne Notarzt an. Die Frau wurde später ins Universitätsklinikum in Lübeck gebracht, wo das Kind durch Notsectio geboren wurde. Dabei wurde festgestellt, dass es zu einer vorzeitigen Plazentaablösung gekommen war. Die Notsectio konnte einen erheblichen Gesundheitsschaden aufgrund einer unzureichenden Sauerstoffzufuhr nicht mehr verhindern, an dessen Folgen das Kind letztlich verstarb.
Die Eltern des Kindes sahen eine Amtshaftung für gegeben und klagten – in den ersten beiden Instanzen erfolglos. Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
Die Erwägungen, mit denen die Vorinstanz in Bezug auf das Verhalten der am Rettungsdiensteinsatz beteiligten Leitstellendisponenten einen Amtshaftungsanspruch verneint hat, hielten einer Überprüfung in wesentlichen Punkten nicht stand. Laut BGH hätte das Berufungsgericht zur Frage, ob hier wegen des vom Mann der Schwangeren geschilderten Zustands seiner Frau eine Indikation zur sofortigen Entsendung eines Notarztes bestand, kein Sachverständigengutachten eingeholt. Gleiches gelte hinsichtlich der Behauptung der Eltern, der Disponent der Leitstelle Schwerin hätte aufgrund der ihm von der Leitstelle Bad Oldesloe mitgeteilten Informationen zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass die Beiziehung eines Notarztes notwendig ist.
Danach habe das angefochtene Urteil keinen Bestand haben können. Der BGH hat die Sache zurückverwiesen, damit das Berufungsgericht die noch erforderlichen Feststellungen treffen kann.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.05.2025, III ZR 417/23