Fahrzeuginsassen, die entgegen der Gurtpflicht gemäß § 21a Absatz 1 der Straßenverkehrsordnung nicht angeschnallt sind und dadurch andere Mitfahrer verletzen, können selbst haftbar gemacht werden. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Köln entschieden. Bei der gesetzlichen Gurtpflicht handele sich um eine Norm, die auch die anderen Fahrzeuginsassen schützen solle.
Geklagt hatte die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers. Letzterer war nachts mit seinem Audi auf einer Landstraße unterwegs. Er war stark alkoholisiert (Blutalkoholkonzentration: 1,76 Promille) und fuhr viel zu schnell (150 bis 160 km/h statt zulässiger 70 km/h). Ihm kam ein mit drei Insassinnen besetzter Skoda entgegen, auf dessen Beifahrersitz die Geschädigte saß und hinter der sich auf der Rückbank die nicht angeschnallte Beklagte befand. Der Audi kam von der Fahrbahn ab und stieß mit dem Skoda zusammen, wobei der Versicherungsnehmer der Klägerin verstarb und die Insassen des anderen Fahrzeugs schwere Verletzungen erlitten.
Die Klägerin nimmt die Beklagte als behauptete Mitverursacherin der Verletzungen der Geschädigten auf Erstattung von 70 Prozent der von ihr bisher an diese in sechsstelliger Höhe erbrachten Leistungen sowie für künftige Zahlungen in Anspruch. Sie verweist auf Sachverständigengutachten, wonach die Nichteinhaltung der Gurtpflicht durch die Beklagte dazu geführt habe, dass deren Knie im Zeitpunkt des Aufpralls in die Rückenlehne des Beifahrersitzes eingedrungen seien und erhebliche Verletzungen der Geschädigten im Bereich der Lendenwirbelsäule und des Brustkorbs verursacht hätten.
Das OLG hat die Berufung der klagenden Versicherung gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts Bonn zurückgewiesen und dadurch die Ablehnung einer Mithaftung der Beklagten für die unfallbedingten Verletzungen der Geschädigten bestätigt. Die Gurtpflicht stelle zwar eine drittschützende Norm im Sinne des § 823 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs dar, weil die Fahrzeuginsassen gerade auch vor den Folgen der Verletzung durch nicht angeschnallte andere Mitfahrer bewahrt werden sollten. Der Bundesgerichtshof gehe von einem Mitverschulden des Geschädigten bei Verletzung der eigenen Gurtpflicht aus. Dieses gilt laut OLG Köln aber auch für Verletzungen anderer Fahrzeuginsassen.
Die gesetzliche Begründung für die Einführung der Gurtpflicht auf den Vordersitzen aus dem Jahr 1975 stelle darauf ab, dass gerade auch aus Zusammenstößen von Fahrzeuginsassen erhebliche Gefahren herrührten. Die Gurtpflicht sei im darauffolgenden Jahrzehnt auf sämtliche Fahrzeuginsassen ausgedehnt und bußgeldbewehrt worden. Das vom OLG zugrunde gelegte weite Verständnis des Schutzzwecks der Gurtpflicht diene der Verkehrssicherheit und dem Schutz der individuellen Rechte aller Verkehrsteilnehmer. Es stehe im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie anderer Obergerichte zur Bußgeldbewehrung der Gurtpflicht. Ebenso füge es sich in das haftungsrechtliche Gesamtsystem ein.
Das OLG hat jedoch offengelassen, ob bei dem vorliegenden Unfall die Knie der Beklagten in die Rückenlehne des Beifahrersitzes eingedrungen waren und dies zu den Wirbelsäulenverletzungen der Geschädigten geführt hatte. Angesichts des strafwürdigen, grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Verhaltens des Versicherungsnehmers der Klägerin trete eine mögliche Mithaftung der nicht angeschnallten Beklagten zurück. Hierzu hat das OLG auf die von der bisherigen Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe zur Höhe der Mithaftung des Verletzten bei Nichteinhaltung der Gurtpflicht im Fall eigener Verletzungen zurückgegriffen und ist von einem vergleichbaren Ausnahmefall ausgegangen.
Das Urteil des OLG ist nicht rechtskräftig. Die Revision hat das OLG nicht zugelassen. Hiergegen ist die Nichtzulassungsbeschwerde statthaft, die beim Bundesgerichtshof einzulegen wäre.
Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 27.08.2024, 3 U 81/23