Die Kündigung eines Arbeitnehmers durch eine katholische Organisation wegen seines Austritts aus der katholischen Kirche kann eine Diskriminierung wegen der Religion sein. Für Generalanwältin beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) Laila Medina ist das dann der Fall, wenn die Organisation die fragliche Berufstätigkeit nicht von der Zugehörigkeit zur katholischen Kirche abhängig gemacht hat und der Arbeitnehmer nicht offen in einer Weise handelt, die dem Ethos dieser Kirche zuwiderläuft.
Die Katholische Schwangerschaftsberatung ist ein Frauen- und Fachverband in der katholischen Kirche in Deutschland. Er berät Schwangere, insbesondere in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche.
Die Beschäftigten des Verbandes müssen zwar nicht katholisch sein, auf sie finden jedoch besondere Beschäftigungsbedingungen der katholischen Kirche Anwendung. Bei katholischen Arbeitnehmern wird der Austritt aus der katholischen Kirche als schwerwiegender Verstoß gegen die Loyalitätspflicht gegenüber dem Arbeitgeber erachtet und kann eine Kündigung nach sich ziehen.
2019 kündigte die Katholische Schwangerschaftsberatung einer ihrer Beraterinnen, weil sie aus der katholischen Kirche ausgetreten war und sich weigerte, wieder in sie einzutreten. Zu dieser Zeit bestand das Beratungsteam für Schwangerschaftsabbrüche aus sechs Personen, von denen zwei evangelisch waren.
Die Beraterin hat die Kündigung mit Erfolg vor den unteren deutschen Arbeitsgerichten angefochten. Die Katholische Schwangerschaftsberatung wandte sich daraufhin an das Bundesarbeitsgericht (BAG). Dieses fragt sich, ob die Kündigung eine zulässige Ungleichbehandlung darstellt. Es hat daher den EuGH um Hinweise zur Auslegung der Richtlinie über Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ersucht, insbesondere zu den darin vorgesehenen Ausnahmeregelungen in Bezug auf bestimmte berufliche Anforderungen.
In ihren Schlussanträgen vertritt Generalanwältin Medina die Auffassung, dass die Kündigung eines Arbeitnehmers durch eine religiöse Organisation wegen seiner Entscheidung, aus einer bestimmten Kirche auszutreten, in einem Fall wie dem vorliegenden sich nicht anhand der Richtlinienbestimmung rechtfertigen lasse, die bei beruflichen Tätigkeiten in Kirchen und religiösen Organisationen unter bestimmten Voraussetzungen Ungleichbehandlungen wegen der Religion zulässt. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung seien nicht erfüllt, wenn die Ausübung der beruflichen Tätigkeiten es nicht erfordert, Mitglied der fraglichen Kirche zu sein, und der betreffende Arbeitnehmer nicht öffentlich wahrnehmbar in einer Weise handelt, die dem Ethos dieser Kirche zuwiderläuft.
Eine berufliche Anforderung könne als wesentlich im Sinne dieser Bestimmung anzusehen sein, wenn die Tatsache, dass sich der betreffende Arbeitnehmer nicht zu einer Religion bekennt, ihn aufgrund der Art der beruflichen Tätigkeit und der Umstände ihrer Ausübung sowie unter Berücksichtigung des Ethos der Organisation für die Ausübung dieser Tätigkeit ungeeignet werden lässt.
Eine berufliche Anforderung, die in der kontinuierlichen Zugehörigkeit zu einer Kirche besteht, sei jedoch dann nicht als wesentlich anzusehen, wenn eine als Arbeitgeber handelnde religiöse Organisation die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit nicht von dieser Religionszugehörigkeit abhängig macht und die Organisation außerdem Personen mit anderen Religionszugehörigkeiten zur Ausübung eben dieser Tätigkeit beschäftigt. Der Austritt aus der fraglichen Kirche lasse für sich genommen noch nicht die Annahme zu, dass der betreffende Arbeitnehmer nicht beabsichtigt, weiterhin die Grundprinzipien und Werte der betreffenden Kirche zu befolgen, und dass er automatisch aufhören wird, die für ihn aufgrund des Arbeitsverhältnisses geltenden Pflichten zu erfüllen.
Die Generalanwältin betont, dass die Richtlinie über Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf einen angemessenen Ausgleich herstelle zwischen dem Recht der Kirchen auf Autonomie und dem Recht der Arbeitnehmer, nicht wegen ihrer Religion diskriminiert zu werden.
Das Recht von Kirchen auf Autonomie dahin auszulegen, dass es einer religiösen Organisation erlaubt wäre, einem Arbeitnehmer unter diesen besonderen Umständen zu kündigen, liefe darauf hinaus, anzuerkennen, dass über dieses Recht auf Autonomie die Einhaltung der in der Richtlinie genannten Kriterien der gerichtlichen Kontrolle entzogen würde. Eine derartige Auslegung liefe auch der Religionsfreiheit des Einzelnen zuwider.
Generalanwältin beim Gerichtshof der Europäischen Union, Schlussanträge vom 10.07.2025, C-258/24