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Das Finanzgericht (FG) Niedersächsischen Finanzgerichts hatte sich – soweit ersichtlich erstmals – mit der umstrittenen Rechtsfrage des Verhältnisses der Umsatzsteuerbefreiungsvorschriften nach § 4 Nr. 19b Umsatzsteuergesetz (UStG) und § 4 Nr. 1b UStG im Hinblick auf den Vorsteuerabzug auseinanderzusetzen.

Im Streitfall ging es um innergemeinschaftliche Lieferungen von Blindenwaren von Deutschland nach Österreich. Geklagt hatte der Inhaber einer anerkannten Blindenwerkstätte zur Herstellung und zum Vertrieb von Blindenwaren und Zusatzwaren im Sinne des § 4 Nr. 19b UStG. Dieser hatte in den Streitjahren 2014 bis 2017 neben seinen (teilweise steuerfreien) Inlandsumsätzen auch umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen (§ 4 Nr. 1b UStG in Verbindung mit § 6a UStG) solcher Blindenwaren nach Österreich ausgeführt zur dortigen Veredelung und zum Weiterverkauf durch seine österreichische GmbH.

Der Kläger machte den Vorsteuerabzug für die mit diesen steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen im Zusammenhang stehenden Eingangsumsätze im Inland geltend. Das beklagte Finanzamt verwehrte ihm jedoch insofern den Vorsteuerabzug unter Verweis auf die entsprechende Verwaltungsauffassung im Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE), wonach grundsätzlich die Steuerbefreiungen ohne Vorsteuerabzug (zum Beispiel § 4 Nr. 8 bis 29 UStG) den Steuerbefreiungen mit Vorsteuerabzug (zum Beispiel § 4 Nr. 1 bis 7 UStG) vorgehen würden. Danach sei vorliegend der Vorsteuerabzug bereits nach § 15 Absatz 2 S. 1 Nr. 1 UStG ausgeschlossen und die Ausnahmeregelung des § 15 Absatz 3 Nr. 1a UStG komme nicht zur Anwendung (Abschn. 4.19.2 Absatz 3 UStAE, Abschn. 6a.1 Absatz 2a UStAE und Abschn. 15.13 Absatz 5 UStAE).

Das FG folgte dieser Verwaltungsauffassung nicht und gab der Klage statt. Es berücksichtigte dabei, dass es sich bei dem personenbezogenen eingeschränkt formulierten Steuerbefreiungstatbestand nach § 4 Nr. 19 UStG um eine nicht harmonisierte, innerstaatliche Regelung handelt. Nach einer unionsrechtlichen Übergangsvorschrift dürfe Deutschland die in § 4 Nr. 19 UStG genannten Umsätze der Blinden und Blindenwerkstätten von der Umsatzsteuer befreien. Zwar könnten Unternehmer, die unter § 4 Nr. 19 UStG fallende Leistungen im Inland erbringen, grundsätzlich nach § 9 Absatz 1 UStG auf die Steuerfreiheit verzichten, wenn der Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird. Bei gleichzeitigem Vorliegen der Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung sei für den Kläger ein solcher Verzicht jedoch tatsächlich gar nicht möglich, da er die innergemeinschaftlichen Lieferungen zu Recht als umsatzsteuerfrei in seinen Rechnungen ausgewiesen hatte. Ein Verzicht auf die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 19 UStG nach § 9 Absatz 1 UStG sei in diesem grenzüberschreitenden Fall vielmehr gegenstandlos.

Nach Auffassung des Gerichts wird durch die vorrangige Anwendung der Steuerbefreiung für die innergemeinschaftlichen Lieferungen (§ 4 Nr. 1b UStG in Verbindung mit § 6a UStG) eine systemwidrige Mehrfachbelastung des Klägers mit Umsatzsteuer über alle Wertschöpfungsstufen hinweg vermieden, da in diesem Fall nach § 15 Absatz 3 Nr.1a UStG kein Vorsteuerausschluss eintrete und die Besteuerung in den Bestimmungsmitgliedstaat (hier Österreich) verlagert werde.

Gegen das Urteil hat das Finanzamt die Revision eingelegt. Diese ist beim Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen XI R 33/24 anhängig.

Finanzgericht Niedersachsen, Urteil vom 14.11.2024, 5 K 17/24, nicht rechtskräftig