Für die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussicht des Deckungsschutzanspruchs eines Versicherungsnehmers in der Rechtsschutzversicherung ist der Zeitpunkt des Schlusses der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht maßgeblich, wenn im Deckungsschutzverfahren nach dem Zeitpunkt der Bewilligungsreife eine Klärung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung zu seinen Gunsten erfolgt. Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem „Dieselverfahren“ entschieden
Ein Mann begehrte von seiner Rechtsschutzversicherung eine Kostenzusage für eine „Dieselklage“. Er hatte im August 2020 ein gebrauchtes Wohnmobil erworben. Gegen dessen Herstellerin will er auf Schadensersatz und Rückabwicklung des Kaufvertrages klagen. Das Kraftfahrzeug sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung, insbesondere einem Thermofenster, ausgestattet; dadurch habe ihn die Herstellerin vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt.
Die Rechtsschutzversicherung hat Mitte Februar 2021 die Kostenübernahme für die Klage abgelehnt: Es bestünden keine Erfolgsaussichten in der Sache. Die vom Versicherten erhobene Deckungsschutzklage blieb in erster Instanz erfolglos. Das Oberlandesgericht (OLG) hingegen entschied, der Versicherer sei verpflichtet, die Kosten zu übernehmen. Dies sieht auch der BGH so, der die Revision des Versicherers zurückwies.
Erfolgt nach dem Zeitpunkt der so genannten Bewilligungsreife eine Klärung der Rechtslage durch die höchstrichterliche Rechtsprechung (hier durch den Europäischen Gerichtshof – EuGH) zugunsten des Versicherungsnehmers, seien für die Beurteilung des Deckungsschutzanspruchs die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage im Zeitpunkt des Schlusses der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht maßgeblich, führt der BGH aus.
Für die Frage, ob die beabsichtigte Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, sei zwar grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Deckungsgesuchs, sprich auf den Zeitpunkt, in dem der Rechtsschutzversicherer seine Entscheidung trifft, abzustellen. Treten aber – wie hier – zwischen der ablehnenden Entscheidung des Deckungsschutzantrags und der gerichtlichen Entscheidung über eine Deckungsklage Änderungen in der Beurteilung der Erfolgsaussichten ein, die sich zugunsten des Rechtsschutzsuchenden auswirken, seien diese bei der Prüfung der Erfolgsaussichten zu beachten. Das Berufungsgericht habe daher zu Recht bei der Prüfung der Erfolgsaussichten die nach dem Zeitpunkt der Deckungsablehnung ergangene, dem klagenden Versicherungsnehmer günstige Entscheidung des EuGH (Urteil vom 21.03.2023, C- 00/21) berücksichtigt.
Es habe auch rechtsfehlerfrei entschieden, dass die vom Versicherungsnehmer beabsichtigte gerichtliche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen Aussicht auf Erfolg hat. Zum Zeitpunkt des Ablaufs der bis zum 15.05.2023 festgesetzten Schriftsatzfrist, die dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht, sei das Berufungsgericht unter Berücksichtigung der EuGH-Entscheidung ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Annahme eines fälligen Schadensersatzanspruchs gegen die Kfz-Herstellerin jedenfalls nicht unvertretbar erschien.
Zwar hätten zu diesem Zeitpunkt die Einzelheiten der Voraussetzungen und der Modalitäten eines solchen Schadensersatzanspruchs noch einer weiteren Klärung bedurft, die erst durch die Urteile des BGH vom 26.06.2023 erfolgt sei. Soweit sich aus diesen Urteilen ergeben könnte, dass dem Versicherungsnehmer der geltend gemachte Schadensersatzanspruch nicht oder nur im geringeren Umfang zusteht, führt dies laut BGH hier zu keinem anderen Ergebnis. Denn das Berufungsgericht habe im Zeitpunkt des Erlasses seines Urteils die weitere Entwicklung der Rechtsprechung nicht absehen können.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 05.06.2024. IV ZR 140/23