Wer in allgemein zugänglichen Verzeichnissen veröffentlichte Telefonnummern von Zahnarztpraxen erhebt und speichert, um unter Nutzung dieser Daten Telefonwerbung zu betreiben, kann sich nicht auf den in Artikel 6 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchst. f Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) geregelten Erlaubnistatbestand der Wahrung berechtigter Interessen berufen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn eine zumindest mutmaßliche Einwilligung der betroffenen Zahnärzte im Sinne des § 7 Absatz 2 Nr. 1 UWG vorliegt, so das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG).
Die Klägerin kauft Edelmetallreste von Zahnarztpraxen an. Hierzu erhebt sie aus öffentlich zugänglichen Verzeichnissen – zum Beispiel den Gelben Seiten – Namen und Vornamen des Praxisinhabers sowie die Praxisanschrift nebst Telefonnummer. Die von ihr gespeicherten Kontaktdaten nutzt sie, um durch Telefonanrufe bei den Zahnarztpraxen in Erfahrung zu bringen, ob die Angerufenen Edelmetalle an sie verkaufen möchten.
Im Januar 2017 ordnete die beklagte saarländische Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit auf der Grundlage des Bundesdatenschutzgesetzes in der damals geltenden Fassung gegenüber der Klägerin an, die für den Zweck einer telefonischen Werbeansprache erfolgende Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von personenbezogenen Daten von Inhabern von Zahnarztpraxen einzustellen, sofern nicht eine Einwilligung des Betroffenen vorliegt oder bereits ein Geschäftsverhältnis mit ihm besteht. Nach rechtskräftiger Abweisung ihrer Klage beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Hinweis auf die im Mai 2018 in Kraft getretene DS-GVO erfolglos die Aufhebung des Bescheids vom Januar 2017.
Die hierauf vor dem Verwaltungsgericht des Saarlandes erhobene Verpflichtungsklage hatte keinen Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Saarland wies die Berufung der Klägerin zurück. Ein Wiederaufnahmegrund liege nicht vor. Durch die DS-GVO habe sich die Rechtslage nicht zugunsten der Klägerin geändert. Artikel 6 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchst. f DS-GVO, der nunmehr eine Interessenabwägung vorsehe, könne nicht als Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung herangezogen werden. Denn die telefonische Werbeansprache entspreche mangels einer zumindest mutmaßlichen Einwilligung der angesprochenen Zahnärzte nicht den Anforderungen des § 7 Absatz 2 Nr. 1 UWG. Werde die Anwendbarkeit des Artikels 6 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchst. f DS-GVO unterstellt, bestünde unter Berücksichtigung der Wertungen des § 7 Absatz 2 Nr. 1 UWG kein berechtigtes Interesse der Klägerin.
Das BVerwG hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Zwar sei der Erlaubnistatbestand des Artikels 6 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchst. f DS-GVO entgegen der Auffassung des OVG hier grundsätzlich anwendbar. Bei der Beurteilung, ob die Datenverarbeitung zur Wahrung eines „berechtigten Interesses“ im Sinne dieser Bestimmung erfolgt, seien jedoch die Wertungen des § 7 Absatz 2 Nr. 1 UWG zu berücksichtigen.
Ob dies generell für Bestimmungen des nationalen Rechts gilt, die keinen datenschutzspezifischen Gehalt haben, musste das BVerwG nicht entscheiden. Denn mit § 7 UWG habe der deutsche Gesetzgeber die in Artikel 13 der Richtlinie 2002/58/EG enthaltenen Vorgaben zum Schutz der Privatsphäre der Betroffenen vor unverlangt auf elektronischem Weg zugesandter Werbung umgesetzt. Es widerspräche daher dem Grundsatz der Einheit der Unionsrechtsordnung, wenn diese lauterkeitsrechtlichen Wertungen bei der Konkretisierung des berechtigten Interesses im Sinne des Artikels 6 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchst. f DS-GVO außer Betracht bleiben müssten.
Hiervon ausgehend fehlt es der Klägerin laut BVerwG an einem berechtigten Interesse im Sinne des Artikels 6 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchst. f DS-GVO, weil der von ihr verfolgte Zweck der Datenverarbeitung gegen § 7 Absatz 2 Nr. 1 UWG verstößt. Bei den Telefonanrufen, mit denen sie die Bereitschaft der angerufenen Zahnärzte zum Verkauf von Edelmetallen in Erfahrung zu bringen sucht, handele es sich um Werbung im Sinne dieser Bestimmung. Da die von ihr angesprochenen Inhaber von Zahnarztpraxen in dem hier vorliegenden Kontext als sonstige Marktteilnehmer zu qualifizieren sind, sei eine zur Unzulässigkeit der Werbeanrufe führende unzumutbare Belästigung nach § 7 Absatz 2 Nr. 1 UWG anzunehmen, wenn nicht zumindest eine mutmaßliche Einwilligung vorliegt. Diese werde durch ein sachliches Interesse der Anzurufenden an der Telefonwerbung indiziert.
Auf der Grundlage der für das BVerwG bindenden tatsächlichen Feststellungen des OVG sei diese Voraussetzung nicht erfüllt. Denn danach diene die Veröffentlichung der Telefonnummern der Zahnärzte in öffentlich zugänglichen Verzeichnissen ausschließlich dazu, die Erreichbarkeit für Patienten zu gewährleisten. Zudem habe das OVG festgestellt, dass der Verkauf von Edelmetallresten zur Gewinnerzielung weder typisch noch wesentlich für die Tätigkeit eines Zahnarztes ist.
Schließlich sieht das BVerwG auch nicht deshalb einen Anspruch der Klägerin auf eine erneute Sachentscheidung, weil es an einer auf die nunmehr geltende Rechtslage bezogenen Ermessensausübung der Beklagten fehlte. Denn das der Aufsichtsbehörde hinsichtlich der Abhilfemaßnahmen nach Artikel 58 Absatz 2 DS-GVO grundsätzlich eingeräumte Ermessen sei hier dahingehend reduziert, dass nur ein Verbot gemäß Artikel 58 Absatz 2 Buchst. f DS-GVO geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sei, um dem festgestellten Verstoß gegen die DS-GVO abzuhelfen.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29.01.2025, BVerwG 6 C 3.23