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Bei Vorliegen der Rückausnahmen des § 152 Absatz 3 Abgabenordnung (AO) darf das Finanzamt nach § 152 Absatz 6 AO auch für Erklärungen zur gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen einen Verspätungszuschlag nur als Ermessensentscheidung festsetzen. Dies hat das Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg entschieden.

Soweit § 152 Absatz 3 Nr. 3 AO bestimmt, dass die festgesetzte Steuer die Summe der festgesetzten Vorauszahlungen und der anzurechnenden Steuerabzugsbeträge nicht übersteigt, sei bei Erklärungen zur gesonderten Feststellung der Besteuerungsgrundlagen auf die jeweiligen Folgebescheide – hier Einkommensteuerbescheide der Gesellschafter – abzustellen.

Der Kläger ist mit 55 Prozent an einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) beteiligt. Diese erzielt Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Der Kläger war zum gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten der GbR bestellt und trat gegenüber dem Finanzamt als deren Vertreter auf. Die Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung 2020 reichte er am 18.12.2022 ein. Aufgrund der verspäteten Abgabe der Feststellungserklärung am 18.12.2022 setzte das beklagte Finanzamt ihm gegenüber als Vertreter der GbR einen Verspätungszuschlag von 966 Euro fest.

Das FG erachtete die Festsetzung des Verspätungszuschlags für rechtswidrig. Nach § 152 Absatz 1 AO könne gegen denjenigen, der seiner Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht oder nicht fristgemäß nachkommt, ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden. Davon sei abzusehen, wenn der Erklärungspflichtige glaubhaft macht, dass die Verspätung entschuldbar ist. In den Fällen des § 152 Absatz 1 AO habe die Verwaltung somit – wenn die Verspätung des Erklärungspflichtigen nicht entschuldbar ist – ihr Ermessen auszuüben, ob ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden soll.

Demgegenüber ordne das Gesetz in § 152 Absatz 2 AO an, dass bei Vorliegen der dort gesetzlich genannten Fallgruppen ein Verspätungszuschlag zwingend festzusetzen ist. Dies sei unter anderem nach § 152 Absatz 2 Nr. 1 AO dann der Fall, wenn die Steuererklärung nicht binnen 14 Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres oder nicht binnen 14 Monaten nach dem Besteuerungszeitpunkt abgegeben wurde. Aufgrund der wegen der Corona-Pandemie verlängerten Abgabefrist für Steuererklärungen beratener Steuerpflichtiger habe die Abgabefrist für die Erklärung über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte 2020 der GbR am 31.08.2022 geendet. Die Erklärung sei jedoch erst am 18.12.2022 eingereicht worden.

Nach § 152 Absatz 3 Nr. 3 AO sei indes – quasi als Rückausnahme – die verpflichtende Festsetzung eines Verspätungszuschlages nach § 152 Absatz 2 AO unzulässig, wenn die festgesetzte Steuer die Summe der festgesetzten Vorauszahlungen und der anzurechnenden Steuerabzugsbeträge nicht übersteigt, fährt das FG fort. Diese Regelung habe der Gesetzgeber über die Norm des § 152 Absatz 6 AO auch für Erklärungen zur gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen, für Erklärungen zur Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags und für Zerlegungserklärungen ohne jegliche Ausnahme für anwendbar erklärt.

Dies könne zwar in der Praxis zu Schwierigkeiten führen, weil das Feststellungs-Finanzamt beim für den Folgebescheid zuständigen Finanzamt nachfragen müsste, ob die Voraussetzungen des § 152 Absatz 3 Satz 3 AO vorliegen. Allerdings ließen der klare und eindeutige Gesetzeswortlaut mit dem Verweis von § 152 Absatz 6 AO auf § 152 Absatz 1 bis 3 sowie Absatz 4 Satz 1 und 2 AO sowie die Gesetzesbegründung keine teleologische Reduktion der Norm dergestalt zu, dass die Fälle des § 152 Absatz 3 Nr. 3 AO vom Verweis des § 152 Absatz 6 AO ausgenommen sein sollen.

Aus den Gesetzgebungsmaterialien lasse sich nicht erkennen, dass der Gesetzgeber über den Verweis des § 152 Absatz 6 AO die entsprechende Anwendung des § 152 Absatz 3 Nr. 3 AO bei Feststellungsbescheiden ausschließen wollte. Auch wenn dem FG bewusst sei, dass es im Feststellungsverfahren – ebenso – wie im Verfahren über die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags originär keine festgesetzte Steuer gibt, die die Summe der festgesetzten Vorauszahlungen und der anzurechnenden Steuerabzugsbeträge übersteigt, sei es dennoch möglich, dass der Gesetzgeber bezüglich der gewählten Terminologie auf die dem Feststellungsverfahren folgenden Einkommensteuer-/Körperschaftsteuerbescheide oder die dem Gewerbesteuermessbetrag nachfolgenden Gewerbesteuerbescheide abstellen wollte, wenn es um die Frage der festgesetzten Vorauszahlungen oder anzurechnenden Steuerabzugsbeträge geht.

Vorliegend vermöge das FG auch unter Heranziehung der Gesetzesmaterialien sowie der grammatischen, historischen, systematischen und teleologischen Auslegungsmethoden in Bezug auf den Verweis des § 152 Absatz 6 zu § 152 Absatz 3 Nr. 3 AO nicht zu erkennen, ob mit „gelten vorbehaltlich des Absatzes 7 die Absätze 1 bis 3 und Absatz 4 Satz 1 und 2 entsprechend“ ein so genannter überflüssiger Verweis „ins Leere“ anzunehmen ist, oder ob bezüglich der Tatbestandsmerkmale des Absatz 3 Nr. 3 AO „wenn die festgesetzte Steuer die Summe der festgesetzten Vorauszahlungen und der anzurechnenden Steuerabzugsbeträge nicht übersteigt …“ auf die den Feststellungsbescheiden folgenden Steuerbescheide (Einkommensteuerbescheide, Körperschaftsteuerbescheide) abzustellen ist.

Das FG legt in Ausgestaltung des Grundsatzes der Normenklarheit und Bestimmtheit die den Steuerpflichtigen belastende Norm zur Erhebung eines Verspätungszuschlages – rechtserhaltend – dahingehend aus, dass der Verweis des § 152 Absatz 6 zu § 152 Absatz 3 Nr. 3 AO nicht ins Leere läuft, sondern dass bezüglich der festgesetzten Steuer, der Summe der festgesetzten Vorauszahlungen und der anzurechnenden Steuerabzugsbeträge auf die den Feststellungsbescheiden folgenden Einkommensteuer- beziehungsweise Körperschaftsteuerbescheide abzustellen ist. Dies entspricht laut Gericht dem Sinn und Zweck der Norm. § 152 AO ziele auf einen Ausgleich der aus der verspäteten Abgabe der Erklärung gezogenen Vorteile.

Da auf der Ebene der Einkommensteuerfestsetzung der Gesellschafter der GbR unstreitig die festgesetzte Einkommensteuer 2020 die Summe der bisher festgesetzten Vorauszahlungen nicht übersteigt, sei vorliegend der Tatbestand der Rückausnahme nach § 152 Absatz 3 Nr. 3 AO erfüllt. Dies habe zur Folge, dass ein Verspätungszuschlag vom Finanzamt nur unter den Voraussetzungen des § 152 Absatz 1 AO als Ermessensentscheidung hätte festgesetzt werden dürfen. Eine solche Ermessensentscheidung habe das Amt jedoch nicht getroffen

Das Urteil des FG ist nicht rechtskräftig. Es wurde Revision zum Bundesfinanzhof eingelegt, die dort unter dem Aktenzeichen IV R 29/23 anhängig ist.

Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 15.11.2023, 12 K 1945/23, nicht rechtskräftig